22 September 2006

Die Holzparty

In Suppenstadt, in Suppenstadt ist Holzauktion...

Am Sonntag waren wir zum ersten Mal in unserem Leben auf eine HOLZPARTY eingeladen! Nein, es gab keine Holzspäne in der Suppe oder Lagefeuerromantik, es war schlichtes Holz schleppen. Eine Kollegin von Minka hatte einen Laster voller Holzscheite kommen lassen, um den nächsten Winter zu überstehen.
Ort des Geschehens war, die dem Leser auch schon bekannte Suppenstadt! Man stelle sich ein 100 Jahre altes graues, 3stöckiges Holzhäuschen vor, innen eng und verwinkelt mit steilen Treppen. Gleich dahinter das nächste Hexenhaus. Der schmale Innenhof sieht nicht sehr einladend aus und ist seitlich begrenzt durch einen zweistöckigen Schuppen, in dem das Holz gelagert wird.
Wir waren früher da als das Holz und begannen uns schon Hoffnung zu machen… Doch dann bog ein LKW russischer Bauart um die Ecke. Er dürfte etwa halb so alt wie das Haus der Partyveranstalterin gewesen sein. Das halbe Institut versammelte sich, um innerhalb von 40 Minuten (!) das Zeug im Schuppen und in der Kammer neben der Wohnung im ersten Stock zu stapeln. Die Stimmung war ausgelassen.

Des Rätsels Lösung
Anschließend - wen wundert es - gab´s Suppe in der Suppenstadt. Hinter den Häuschen offenbarte sich ein wunderschöner Garten mit Obstbäumen. Wir aßen in der Buddelkiste. Dabei erfuhren wir, was wir schon lange wissen wollten, warum heißt die Suppenstadt Suppenstadt. Der Fluss Emajõgi war früher des Öfteren über die Ufer gestiegen, hatte dabei die Keller der Vorstadt überflutet, so dass sämtliche Kartoffel-, Erbsen-, Bohnen- und Melonen- (?) vorräte in der braunen Suppe durch die Straßen schwappten… Galgenhumor estnischer Art…

Am Peipsi järv


Packt die Badehose ein…

Am Wochenende trauten wir uns nach zweieinhalb Wochen das erste Mal aus Tartu raus. Ziel war: der Peipsi See. Schon mal gehört? Nee, wa? Dann zunächst Mal einen Blick auf die Landkarte?

Und außerdem zur besseren mentalen Vorstellung: der gute alte Bodensee passt 7x hinein! Wenn der Wind geht, ein paar Wellen gegen die Uferkante plätschern und die Möwen am Himmel kreisen, dann fühlt man sich tatsächlich wie am Meer.
Das besondere an dem See ist jedoch nicht allein seine Größe, sondern auch seine Nähe zu Russland. Mitten durch den See verläuft die Grenze. (Das ist so ähnlich wie früher an der Havel mit den weißen Bojen…)
Leider kann man das andere Ufer gar nicht sehen, denn die Erde ist ja rund und Russland weit weg ! „Russen“ gibt’s hier trotzdem wie Sand am Meer, denn die russischsprachige Minderheit in Estland ist in den grenznahen Gebieten gar keine Minderheit. Am Peipsisee siedelten sich im 16.Jahrhundert immer mehr russische Glaubensflüchtlinge, genannt Altgläubige, an. Sie flohen aus dem Gebiet um Novgorod, das am russischen Ostufer liegt.

…und dann nüscht wie raus…

Auf unseren Streifzügen durch die Dörfer hörten wir nur Russisch – und sogar die selbstgebastelten Straßenschilder an den Hauswänden waren auch in kyrillischer Schrift geschrieben. Die Leute hier Leben vom Fischfang und vom Zwiebelanbau und wohnen gern in solch lustigen Orten namens „Nase“ – auf estnisch „Nina“.

Es war herrliches Wetter, sonnig und strahlend blauer Himmel! Ein Tag wie im Bilderbuch: Altweibersommer! Am Freitagabend waren wir bereits mit unserem gelben Flitzer losgedüst, hatten schon mal einen Blick auf den schönen See erhaschen können und uns dann bei Sonnenuntergang zum Übernachten in „die Büsche geschlagen“. Nachts wurde es so kalt, dass Minka aufwachte. Unter der Daunendecke war´s gemütlich und warm – doch wo war bloß die Schlafmütze von Witwe Bolte?! Niemals ohne Mütze – in Estland by night!

… nach „Pepsi-See“!
Den Zugang zum See zu finden ist manchmal gar nicht so einfach, weil er oft von einem dicken Schliffgürtel umfangen ist. In der Ortschaft Kallaste stehen die Häuser ganz dicht an der Uferkante und ein Blick auf die blaue Pracht ist nur den Bewohnern der richtigen Straßenseite vorbehalten. Doch es führten auch mehrere Treppchen hinunter zum Ufer. Übrigens gibt der Name Kallaste - wie so oft bei estnischen Ortschaften – einen Hinweis auf die Topografie. Kallas bedeutet Ufer. Die Nase in Nina ist, wie wir später erfuhren, eine kleine Landzunge, die in den See hineinrakt.
Kallaste ist bekannt für seine rote Steilküste und wir bestaunten zudem die meist kyrillischen Liebesschwüre im Gestein. Und wir entdeckten das heimliche Hobby der Kallastenesen: im Schatten einiger Häuschen im Ort verbargen sich nie gesehene monströse Autovariationen…

Der Tagesausklang wurde gekrönt durch die Entdeckung eines richtigen Sandstrandes bei Kauksi am Nordufer des Peipsi-Sees. Weit und breit keine Menschenseele. Dort lagen wir in der Sonne bis sie hinter den Dünen verschwand…


Vor ein paar Tagen erfuhren wir, dass es am See eine Stelle gibt, wo man in einem Tümpel mit unzähligen, gezüchteten Fischen, diese angeln kann. Selbst dem letzten Idioten wird es gelingen dort sein Mittagessen zu fangen. Anschließend wird die Beute gebraten und verspeist.


07 September 2006

Chrustschewka

Nach einer Woche in der Suppenstadt, sind wir nun downtown gezogen...

Noch ist kein Schnee gefallen, die Skier ruhen im Sack und die Sonne geht morgens auf - und abends wieder unter. Dafür brummt unser Kühlschrank (Is somebody in the fridge, wunderte sich Susanne, unsere Nachbarin) und die Fahrräder sind Teil des Mobiliars im Wohnzimmer geworden... kombiniere: wir haben nun unser eigenes Reich!
40 qm in einer Chrustschewka : in den sechziger Jahren "errichtet" von sowjetischen Bausoldaten. Jene Männer, die als untauglich erklärt worden waren, ein Gewehr in der Hand halten zu können, sollten fern der Heimat für andere Häuser bauen. Klar, da war die Kreativität - und noch mehr der Durst sehr groß. Mit schiefen Wänden, runden Ecken und weiteren Ergebnissen der großen Maßtoleranzen kämpfen die Bewohner der Chrustschewkas noch heute beim Fliesenlegen oder Regale anschrauben.

Regale und andere Design-Klassiker
So zeigten uns unsere Vermieter ein hölzernes Regal, welches tatsächlich maßgefertigt für eine ganz bestimmte Wohnung (in diesem Fall, die der Großmutter) und dort für eine ganz bestimmte Wand hergerichtet worden war. Ohne dieses Wissen hätten wir beim Anblick des Regals wahrscheinlich gedacht, der Heimwerker habe geschielt UND gesoffen... Nun zurück zu unserer Wohnung. Das Highlight: gefliestes Bad mit Fußbodenheizung! Der Fliesenkleber in der Küche ist noch nicht ganz trocken. Unsere Vermieter, übrigens eine echt nette Kollegin von Minka und deren Mann, haben sich bevor wir eingezogen sind, ein Wochenende lang, in die Wohnung gestellt und sie etwas "aufgefrischt" (Zitat Vermieterin). Wir leben nun mit den Möbeln der anderen Großmutter und verfügen außerdem über einen echten estnischen Siebziger-Jahre-Wohnzimmertisch, will sagen: einen "Design-Klassiker", weil nahezu jeder estnische Haushalt einen solchen besitzt.
Zwei Zimmer, offene Miniküche und Bad sind nun unser Eigen. Uns wurde empfohlen Fahrräder nicht lange auf der Straße herumstehen zu lassen. Das macht in ganz Tartu tatsächlich niemand! Wir zeigen unsere Integrationsbereitschaft und machen es wie alle! Deshalb stehen die Räder, bis wir einen Keller haben, vorläufig im Wohnzimmer und im Hausflur auf dem Treppenabsatz, angekettet wie ein Tiger im Käfig.

Big brother ist watching you
Apropo Hausflur! WIR kennen hier eigentlich nur unsere Nachbarin Susanne aus dem Erdgeschoss, welche uns die Wohnung vermittelt hatte und Minkas Vorgängerin und jetzt Kollegin ist. (Also auch eine Deutschtüte.) Doch uns kennt man bereits, man weiß genau, wo wir wohnen und was mit unserer Wäsche so alles passiert, wenn sie, wie kürzlich, hinter dem Haus an den aufgestellten Wäscheleinen flattern sollte. Denn: wir hatten bei dem gestrigen Wind schon unsere Mühe die 10 Kg Klamotten überhaupt aufzuhängen. Kaum hing etwas, jagten wir schon wieder hinter einer Socke, einem Handtuch oder der Wäscheklammer-Plastiktüte her... Und so ging das wohl noch weiter nachdem wir das Feld der Geschehnisse bereits verlassen hatten. Es klingelte irgendwann und eine Nachbarin wies Sascha darauf hin, dass Teile der Wäsche auf dem Rasen lägen. Woher wußte sie, dass es UNSERE Wäsche war und woher wußte sie überhaupt, wo wir WOHNEN?! WIR hatten sie noch nie gesehen! Ja, wir vergaßen zu erwähnen, dass wir nun Mieter in einer postsozialistischen Genossenschaft sind. An der hinteren Eingangstür prangt nachdrücklich ein Schild, man könnte es schon eine Warnschild nennen, welches auf die nachbarschaftliche Bürgerwehr hinweist. Scheinbar traut sich darum nicht einmal mehr der Postbote in unser Haus, denn bislang ist noch keine Post bei uns angekommen. Obwohl Saschas Schwester Sophie versichert, vor zwei Wochen einen Brief eingesteckt zu haben!

Unsere Wohnung im sozialen und städtebaulichen Kontext
Die Straße ist gesäumt von Bäumen und weiteren Chrustschewkas. Hier wohnen viele Studenten (Wohnheime gibt´s auch um die Ecke), ein "nackter Onkel" (Erläuterung folgt) und ein paar besoffene Ruskis...Es ist keine 2 Minuten zur Unibibliothek, das Stadtzentrum, die Uni sowie das Kaubamaja (heißt: Kaufhaus) sind in 10 Minuten zu Fuß zu erreichen. Für uns Berliner Pflanzen völlig unvorstellbar und immer wieder ein Genuss! Und noch dazu werden die Schuhsohlen geschont...

Wohnst du noch oder lebst du schon?
Nachdem wir uns nun in der vergangene Woche geeinigt hatten, welche Schreibtischlampe wir kaufen, wo wer zum Arbeiten sitzen und seinen Kram ansiedeln darf, sind wir nun gewappnet für den langen kalten Winter!
(Text vom 09.09.06)

05 September 2006

die ersten Tage...

Liebe Freunde des Tartuer Nachrichtenblattes,

wir erholen uns erst mal vom Rausch der Geschwindigkeit in Polen (350 km in 9 Std).

Deutsche Autobahnen sind schon eine schöne Erfindung!
Aber die Straßen in Baltikum sind viel besser als erwartet, mal abgesehen von den groß angekündigten Autobahnen, auf denen man dann wenden durfte, sich Bahnübergänge, Bushaltestellen, Pilzesucher und Spaziergänger tummelten.
Nach dem sich unserer Übernachtungsmöglichkeiten von Nacht zu Nacht vereinfachten (erste Nacht Luxuscampingplatz ganz unter deutschen Rentnerwohnmobilisten – letzte Nacht auf einem Acker in Litauen) sind wir nun nach vier Tagen wohlbehalten (und ungewaschen) in Tartu angekommen.

Wir wohnen augenblicklich noch in einer bed& breakfast- Pension am westlichen Stadtrand (15 min zu Fuß ins Zentrum) in dem sogenannten „Suppenviertel“. Warum heißt das so? Quizfrage! Und schon kommt die Lösung: Unser Holzhaus steht in der ERBSENSTRASSE, welche die BOHNENSTRASSE kreuzt und in unmittelbarer Nachbarschaft zur KARTOFFELSTRASSE liegt. Eine MELONENSTRASSE gibt es auch, aber wir glauben, dass in diesem Fall bei der Namensgebung etwas durcheinander gebracht wurde. Das Suppenviertel ist so etwas wie eine Vorstadt mit bunten mal mehr mal weniger renovierten Holzhäuschen, Gärten mit Obstbäumen und zerbeulten Ladas.
Ja, diese Autos gibt´s es hier noch, genauso wie die sowjetischen, ausgedienten Kolchoselaster. Doch überwiegend fährt man hier dicke BMWs oder auch Volvos. Was sich noch in unserem Viertel auf Rändern bewegt, sind mitunter Männer beim Trockenskifahren. Gleich hinter unserem Haus befindet sich der Parcour, der, wie wir bereits herausgefunden haben, im Winter schneebedeckt ist und von Loipenspuren durchzogen wird. JUHUUUUUU! Ein Glück haben wir unsere Skier noch in den Bus gequetscht!

Tartu ist unglaublich schön! Nachdem es in der Vergangenheit 55 Mal (!) abgebrannt wurde, hatten die Stadtväter (Stadtmütter gab es hier natürlich auch nicht) irgendwann beschlossen nicht mehr mit Holz zu bauen, wie es einst Zar Peter I. verlangt hatte, und statt dessen nur noch Stein zu verwenden. Doch woher die Steine nehmen?! Alle Bauern, die in die Stadt reisten, um etwas zu verkaufen, mussten 16 kg Steine mitbringen. Und so entstand eine überwiegend im klassizistischen und barocken Stil gebaute Stadt. Wahrscheinlich war während der Sowjetzeit alles ziemlich heruntergekommen, aber davon sieht man jetzt kaum noch was. Überall wir gebaut, gemalt und restauriert. Verspricht gute Chancen für Architekten!

Mitten in der Stadt ist ein Raumschiff gelandet: Das Hauptgebäude der Tartu Ülikooli, der Universität. Es sieht aus wie das weiße Haus. Zumindest was Farbe und Imposanz angeht.Gegenüber davon ist Minkas zukünftige Wirkungsstätte, die Germanistikabteilung. Gestern haben wir auch die ersten Kolleginnen kennen gelernt, allesamt sehr freundlich und herzlich. Die DAAD-Lektorin Elke, Minkas „Chefin“ und die Sprachassistentin vom vergangenen Jahr führten uns rum.Künftig werden Südöstlich vom Zentrum wohnen in der Tiigi (was das heißt wissen wir noch nicht). Dort siehts wieder ganz anders aus. Sowjetische vierstöckige Kasernenähnliche graue Backsteinhäuser.Klingt alles viel trister als es ist, denn: die Straße ist grün, Wäsche hängt man im Hof auf und hinter den Häusern ist der Domberg, ein verwunschener Park.

Der Bahnhof, an dem man deutlich erkennt, dass die Esten lieber in ihren dicken BMWs reisen statt mit der Bahn. Die ohne BMW fahren aber auch lieber Bus, so dass wir gestern Mittag die Einzigen auf dem Bahnsteig waren. Abgesehen von einer Puppe interessierte sich auch niemand für das verschrobene Bahnhofsgebäude...

Jetzt gehen wir die Melonensuppe suchen! Tschüß!



(Text vom 30.08.06)